"Glattflächenkaries" ist sehr selten

Apotheken Umschau: Unser Beitrag über „Kreidezähne“

Fast jeder kennt sie: Die Apotheken Umschau vom Wort & Bild Verlag, die kostenlos in Apotheken erhältlich ist. Die Gesundheitszeitschrift erscheint zweimal monatlich und enthält Artikel zu den Themen, Ernährung, Prävention, Medizin und Wohlbefinden. Die „Rentner-Bravo“ bietet leicht verständliche Informationen, oft mit Experteninterviews und praktischen Tipps.
In der Juli-Ausgabe erscheint ein Artikel über Kreidezähne, bei dem ich als Experte zum Thema „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation“ befragt worden bin.
Um zu dem Artikel zu gelangen, gehen Sie zu folgendem LINK.
Einen kleinen Ausschnitt des Interviews finden können Sie im Folgenden nachlesen oder sich vorlesen lassen:

Kreidezähne – Ursachen, Häufigkeit und Behandlung 

Journalistin: Herr Dr. Schnotz, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Beginnen wir mit der grundlegenden Frage: Was genau sind Kreidezähne?

Dr.Schnotz: Vielen Dank für die Einladung. Kreidezähne, in der Fachsprache als Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) bezeichnet, sind eine Entwicklungsstörung des Zahnschmelzes, die meist im Alter zwischen 1 und drei Jahren stattfindet. Dabei kommt es zu einer ungleichmäßigen Mineralisation, was die betroffenen Zähne weicher und poröser macht. Dadurch brechen sie leichter ab und sind oft empfindlich gegenüber Kälte, Wärme oder Süßem.

Journalistin: Wie verbreitet sind Kreidezähne in Deutschland? Gibt es dazu aktuelle Zahlen?

Dr.Schnotz: Ja, tatsächlich zeigen Studien, dass etwa 10 – 15 % der Kinder in Deutschland von MIH betroffen sind. Je nach Altersgruppe und Region schwanken die Werte etwas. Besonders häufig tritt die Erkrankung bei den bleibenden ersten Molaren und Schneidezähnen auf. Kurz gesagt haben 28,7% der unter 12-jährigen einen Kreidezahn.

Journalistin: Gibt es Erkenntnisse zur Inzidenz, also wie viele neue Fälle pro Jahr auftreten?

Dr.Schnotz: Die exakte Inzidenz ist schwer zu bestimmen, da die Erkrankung erst mit dem Durchbruch der betroffenen Zähne erkennbar wird. Schätzungen zufolge treten jährlich etwa 2-5 % neue Fälle bei Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren auf. Das zeigt, dass MIH ein relevantes Problem in der Kinderzahnheilkunde ist.

Journalistin: Was sind die Ursachen von Kreidezähnen?

Dr.Schnotz: Die genaue Ätiologie ist noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt verschiedene Hypothesen. Wahrscheinlich spielen Umweltfaktoren eine Rolle, darunter Erkrankungen in der frühen Kindheit in Verbindung mit Tetracyclingabe oder Weichmacher wie Bisphenol A (BPA). Auch ein Zusammenhang mit bestimmten Ernährungseinflüssen oder einer gestörten Kalziumaufnahme wird diskutiert. Genetische Faktoren scheinen hingegen eine geringere Rolle zu spielen als bei anderen Zahnentwicklungsstörungen.

Journalistin: Wenn die genauen Ursachen noch nicht sicher feststehen, gibt es dann Möglichkeiten, Kreidezähne zu verhindern?

Dr.Schnotz: Leider gibt es bislang keine sichere Prävention, da die Ursachen multifaktoriell sind. Allerdings kann man versuchen, potenzielle Risikofaktoren zu minimieren, etwa durch eine gesunde Ernährung, die Vermeidung von Weichmachern in Plastikprodukten und eine gute Zahnhygiene von klein auf.

Journalistin: Gibt es spezielle Empfehlungen für Eltern, deren Kinder Kreidezähne haben?

Dr.Schnotz: Ja, Eltern sollten besonders auf eine gründliche, aber sanfte Zahnpflege achten. Eine elektrische Zahnbürste und fluoridhaltige Zahnpasta können das Schlimmste verhindern. Regelmäßige Kontrollbesuche beim Zahnarzt sind essenziell, um Schäden frühzeitig zu erkennen. Auch eine zahnschonende Ernährung mit wenig säurehaltigen Lebensmitteln ist ratsam.

Journalistin: Herr Dr. Schnotz, Sie haben bereits über die medizinischen Aspekte von Kreidezähnen gesprochen. Aber wie sieht es mit den ästhetischen Auswirkungen aus? Haben betroffene Kinder häufig Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein?

Dr.Schnotz: Ja, das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt. Die betroffenen Zähne können gelblich-weiß, bräunlich oder fleckig verfärbt sein. Gerade wenn die Schneidezähne betroffen sind, leiden manche Kinder darunter, weil sie anders aussehen als ihre Altersgenossen. Es gibt Berichte von Kindern, die ungern lächeln oder sich schämen, weil ihre Zähne auffallen. Das kann das Selbstbewusstsein erheblich beeinträchtigen.

Journalistin: Welche therapeutischen Maßnahmen kann ein Zahnarzt in solchen Fällen ergreifen?

Dr.Schnotz: In leichteren Fällen kann eine Versiegelung mit speziellen Lacken oder Fluoridlösungen helfen, um den Zahnschmelz zu stabilisieren. Wenn die Verfärbungen stark auffallen, kann eine Kunststofffüllung in der origiären Zahnfarbe eine ästhetische Verbesserung bringen. In schwereren Fällen setzen wir Kronen ein, besonders bei den Backenzähnen. Für Schneidezähne gibt es ästhetische Lösungen wie Kunststoffverblendungen z.B. mit weißer Sprenkelung oder bei Erwachsenen keramische Veneers.

Journalistin: Sie hatten zuvor Fluorid-Präparate erwähnt. Welche gibt es konkret für Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren, und wie werden sie angewendet?

Dr.Schnotz: Es gibt mittlerweile einige Präparate auf dem Markt, die sich für diese Altersgruppe eignen. Besonders bekannt sind Produkte wie Elmex Geleé. Diese Stoffe ähneln dem natürlichen Zahnschmelz und können mikroskopisch kleine Defekte reparieren. Sie werden einfach beim Zähneputzen aufgetragen, denn Fluorid wirkt am Besten lokal appliziert, nicht als Tablette. Daneben gibt es auch Mundspüllösungen mit Hydroxylapatit, die zusätzlich helfen können.

In der zahnärztlichen Praxis setzen wir auch Medikamente in Form von hochkonzentrierten Lacken oder Gelen mit Natriumfluorid bis 5000ppm ein, um Zähne gezielt zu stärken.

Journalistin: Inwieweit haben Kinder mit Kreidezähnen im Alltag Einschränkungen?

Dr.Schnotz: Die Empfindlichkeit der Zähne kann das Essen und Trinken beeinträchtigen. Viele Kinder berichten von Schmerzen bei kalten oder heißen Speisen, und auch säurehaltige Lebensmittel wie Orangensaft oder Essig können unangenehm sein. Zudem sind die Zähne oft brüchig, sodass sie schneller abbrechen – selbst beim normalen Kauen. Das kann dazu führen, dass Kinder bestimmte Nahrungsmittel meiden oder vorsichtiger essen.

Journalistin: Spielen zuckerhaltige Getränke oder Naschereien eine besondere Rolle bei Kreidezähnen?

Dr.Schnotz: Ja, absolut. Da die betroffenen Zähne von Natur aus weniger widerstandsfähig sind, sind sie anfälliger für Karies. Zuckerhaltige Getränke wie Limonaden oder Fruchtsäfte greifen den ohnehin geschwächten Zahnschmelz noch schneller an. Dasselbe gilt für Süßigkeiten, insbesondere für klebrige oder saure Produkte wie Gummibärchen oder Fruchtgummis. Kinder mit Kreidezähnen sollten deshalb besonders auf eine zuckerarme Ernährung achten und regelmäßig Fluorid oder Hydroxylapatit-Produkte verwenden, um den Zahnschmelz zu schützen.

Journalistin: Was raten Sie Eltern, um den Alltag für ihre Kinder möglichst beschwerdefrei zu gestalten?

Dr.Schnotz: Zunächst einmal eine gute Mundhygiene mit speziellen Zahnpasten und eine zahnschonende Ernährung. Außerdem ist es wichtig, dass Eltern frühzeitig mit ihrem Zahnarzt über Behandlungsmöglichkeiten sprechen. Bei starken Schmerzen oder Einschränkungen sollte man nicht zögern, sich Hilfe zu holen – es gibt viele effektive Maßnahmen, um den betroffenen Kindern zu helfen.

Journalistin: Herr Dr. Schnotz, Sie haben bereits über Hydroxylapatit gesprochen. Können Sie uns die genaue molekulare Zusammensetzung dieses Stoffes im Zahnschmelz erklären?

Dr.Schnotz: Sehr gerne. Der Zahnschmelz besteht zu etwa 96 % aus anorganischen Substanzen, hauptsächlich aus Hydroxylapatit (Ca5(PO4)3(OH)). Diese Verbindung ist ein kristallines Kalziumphosphatsalz und bildet die Grundstruktur des Zahnschmelzes. Die übrigen 4 % bestehen aus Wasser und organischen Bestandteilen, darunter Proteine und Lipide. Durch die eng gepackten Hydroxylapatit-Kristalle erhält der Zahnschmelz seine extreme Härte – und er ist mit seinen 1-3 mm Stärke das widerstandsfähigste Gewebe im menschlichen Körper mit einer Mohs-Härte von 5-8!

Journalistin: Wie unterscheidet sich die Bildung des Zahnschmelzes – also die Amelogenese – von der Kalkbildung bei Muscheln oder Schnecken?

Dr.Schnotz: Eine spannende Frage! Obwohl beide Strukturen mineralisch sind, unterscheiden sich die Bildungsprozesse deutlich.

Bei der Amelogenese wird der Zahnschmelz durch spezialisierte Zellen, die Ameloblasten, produziert. Diese setzen zuerst eine organische Matrix aus Proteinen wie Amelogenin frei, die als Gerüst für die spätere Mineralisation dient. Anschließend lagern sich Kalzium- und Phosphationen an, wodurch Hydroxylapatit-Kristalle wachsen und sich verdichten. Dieser Prozess passiert lange vor dem Zahndurchbruch während der Zahn im Kiefer heranwächst und ist nicht regenerierbar. Ist der Zahn erst einmal durchgebrochen, kann der einst gebildete Zahnschmelz nicht neu nachwachsen.

Im Gegensatz dazu bilden Muscheln und Schnecken ihre Schale aus Calciumcarbonat (CaCO3) in Form von Aragonit oder Calcit. Diese Strukturen entstehen durch die Sekretion von Kalzium- und Karbonationen aus speziellen Mantelzellen. Anders als der Zahnschmelz können Weichtiere ihre Exoskelett bei Schäden oft regenerieren, da sie kontinuierlich neues Material ablagern.

Journalistin: Das bedeutet also, dass Zahnschmelz zwar sehr hart ist, aber dennoch beschädigt werden kann.

Dr.Schnotz: Genau. Während Muschelschalen flexibel nachgebildet werden können, ist der Zahnschmelz ein einmalig gebildetes Gewebe. Ist er erst einmal beschädigt, kann er sich nicht von selbst regenerieren – daher sind Prävention und Schutz so wichtig.

Journalistin: Sie haben erwähnt, dass Fluorid eine Rolle beim Schutz der Zähne spielt. Wie genau wirkt Fluorid auf den geschädigten Zahnschmelz?

Dr.Schnotz:. Fluorid hat mehrere positive Effekte auf den Zahnschmelz. Zum einen fördert Fluorid die Remineralisation. Wenn Säuren den Zahnschmelz entkalken, lagern sich durch fluoridhaltige Zahnpasta oder Gele Kalzium- und Phosphationen wieder an und stabilisieren den Schmelz. Zum anderen kann es Hydroxylapatit teilweise in Fluorapatit umwandeln. Dieser ist widerstandsfähiger gegen Säureangriffe, weil Fluorapatit eine geringere Löslichkeit in saurer Umgebung hat.

Schade nur, dass sich die Farben unterscheiden: Während der Hydroxylapatit des natürlichen Zahnschmelzes für die gelblich-weiße Farbe des Zahnes verantwortlich ist, ist der Fluorapatit eben kreide-weiß. Dadurch kann man die Strukturumwandlung optisch erkennen. Besonders bei Kreidezähnen, die von Natur aus weicher sind, kann Fluorid helfen, die Struktur zu stärken.

Journalistin: Und wie verhält es sich bei Kreidezähnen, die bereits Risse oder Brüche im Schmelz aufweisen?

Dr.Schnotz: Hier ist Fluorid zwar nützlich, aber nicht immer ausreichend. Wenn der Zahnschmelz bereits große Defekte oder Abplatzungen hat, kann Fluorid ihn nicht wiederherstellen. In solchen Fällen hilft oftmals eine kleine Füllung, um den Zahn wiederherzustellen.

Journalistin: Das heißt, Fluorid ist eher präventiv und unterstützend, aber keine Reparaturmaßnahme?

Dr.Schnotz: Genau. Fluorid schützt den Schmelz und macht ihn widerstandsfähiger gegen Säuren, aber es kann nicht fehlende Zahnhartsubstanz ersetzen. An diesem Punkt kommen unser zahnärztlichen Restaurationsmaßnahmen zum Einsatz.

Journalistin: Vielen Dank, Herr Dr. Schnotz, für diese tiefgehenden Einblicke in die molekularen Prozesse des Zahnschmelzes und die therapeutischen Möglichkeiten!

Dr.Schnotz: Sehr gern! Ich hoffe, dass wir damit betroffenen Familien eine gute Orientierung geben konnten, um die richtige Pflege und Behandlung für Kreidezähne zu finden!

Journalistin: Gibt es noch etwas, das Sie Eltern und Betroffenen mit auf den Weg geben möchten?

Dr.Schnotz: Ich kann nur betonen, dass Kreidezähne gut behandelbar sind, wenn sie früh erkannt werden. Eltern sollten keine Angst haben, sondern sich bei ersten Anzeichen wie Verfärbungen an einen Zahnarzt wenden. Mit der richtigen Pflege und Behandlung können wir solche Zähne in der Regel gut erhalten.

Fazit

Kreidezähne sind eine Herausforderung für viele Familien, doch mit der richtigen Pflege und zahnärztlichen Betreuung lassen sich Folgeschäden minimieren. Frühzeitige Diagnose, regelmäßige Zahnarztbesuche und eine angepasste Zahnpflege sind entscheidend, um betroffene Zähne langfristig zu erhalten. Eltern sollten auf erste Anzeichen (siehe Beitragsbild oben) achten und ihre Kinder dabei unterstützen, eine gute Mundhygiene zu einzugewöhnen.

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